Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (BAG) hatte sich in einem Revisionsverfahren mit der Grundsatzfrage zu beschäftigen, ob Leiharbeitnehmer:innen für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer:innen des Entleihers haben. Diese Frage hat das BAG nun mit seinem Urteil vom 31.5.2023 geklärt und festgestellt, dass von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben („equal pay“), nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tarifvertrag „nach unten“ mit der Folge abweichen kann, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss (vgl. BAG, Urteil vom 31.05.2023 - 5 AZR 143/19; BAG- Pressemitteilung Nr. 25/23 - Leiharbeit - gleiches Arbeitsentgelt - Abweichung durch Tarifvertrag; s. a. FD-ArbR 2023, 457682, beck-online).
Sachverhalt
Die Klägerin war aufgrund eines nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt (a. a. O.). Sie war im Streitzeitraum Januar bis April 2017 hauptsächlich einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen und verdiente zuletzt 9,23 € brutto/Stunde (a. a. O.). Sie hat behauptet, vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten einen Stundenlohn von 13,64 € brutto und mit ihrer Klage unter Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG a.F. für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung i.H.v. 1.296,72 Euro brutto verlangt (a. a. O.). Die Klägerin meinte, dass auf ihr Leiharbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findende Tarifwerk von iGZ und ver.di sei mit Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar (a. a. O.). Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, das Tarifwerk von iGZ und ver.di verstoße nicht gegen Unionsrecht, außerdem hat sie die Höhe der von der Klägerin behaupteten Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers mit Nichtwissen bestritten (a. a. O.). Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (a. a. O.).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin blieb vor dem 5. Senat des BAG ohne Erfolg. Um unionsrechtliche Fragen zu klären, hatte der Senat vorab mit Beschluss vom 16.12.2020 (BAG, Beschluss vom 16.12.2020 - 5 AZR 143/19 (A) – BAGE 173, 251) das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gem. Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL verlangten, aber nicht näher definierten „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ ersucht (a. a. O). Diese hat der EuGH mit Urteil vom 15.12.2022 (- C-311/21 – [TimePartner Personalmanagement]) beantwortet (a. a. O.).
Nach Fortsetzung der Revisionsverhandlung hat das BAG die Revision der Klägerin nun als unbegründet zurückgewiesen (a. a. O.). Die Klägerin hat demnach keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer:innen des Entleihers erhalten (a. a. O.). Aufgrund des wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di war die Beklagte nach § 8 Abs. 2 S. 2 AÜG und § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a.F. nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen (a. a. O.). Dieses Tarifwerk genüge, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer, den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL (a. a. O.). Treffe der Sachvortrag der Klägerin zur Vergütung vergleichbarer Stammarbeitnehmer:innen zu, habe die Klägerin zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten hat, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre (a. a. O.).
Eine solche Schlechterstellung lasse aber Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL jedoch ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolgt (a. a. O.). Dazu müssten nach der Vorgabe des EuGH entsprechende Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen (a. a. O.). Ein möglicher Ausgleichsvorteil könne nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiharbeitsverhältnissen etwa die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein (a. a. O.). Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält (a. a. O.). Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleistet die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten (a. a. O.). Außerdem habe der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 S. 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann (a. a. O.). Auch habe der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten dürfe (a. a. O.). Zudem sei seit dem 01.04.2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt (a. a. O.).
Demnach konnte der Tarifvertrag, der entsprechende Ausgleichsvorteile gewährte, von dem Grundsatz des „equal pay“ abweichen, was zugleich den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeits-RL) entsprach (a. a. O.).
Bewertung
Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass der Anspruch auf „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ („equal pay“) Ausnahmen zulässt, wobei im konkreten Fall ein Sachgrund für die (im Zweifel angenommene) Ungleichbehandlung bei der Lohnzahlung zwischen Leiharbeitnehmer:innen und Stammarbeitnehmer:innen durch entsprechende Tarifbindung und tarifliche Ausgleichsvorteile aus Sicht des BAG adäquat ausgeglichen war.
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