Haben Prüflinge Anspruch auf Zurverfügungstellung unentgeltlicher Kopien der von ihnen angefertigten Aufsichtsarbeiten einschließlich zugehöriger Prüfergutachten? Wie wirkt sich dies auf gegebenenfalls vergleichbare Ansprüche außerhalb des Prüfungsrechts - zum Beispiel auf personenbezogene Unterlagen/Daten im öffentlichen Dienst - aus? Mit der Antwort und einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG - vom 30.11.2022 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 2022 – 6 C 10/21 –, juris; s. a. FD-RVG 2022, 454347, beck-online) befasst sich der folgende Beitrag.
Sachverhalt zum Urteil des BVerwG
Der Entscheidung des BVerwG lag die Klage eines Assessors auf kostenlose Überlassung von Kopien seiner Examensklausuren zugrunde (a. a. O.). Der Kläger verlangte nach bestandener zweiter juristischer Staatsprüfung vom Justizprüfungsamt des betreffenden Landes unter Berufung auf datenschutzrechtliche Vorschriften der DSGVO, ihm unentgeltlich eine Kopie der von ihm angefertigten Aufsichtsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten zur Verfügung zu stellen (a. a. O.). Das Prüfungsamt lehnte eine unentgeltliche Überlassung ab und verwies auf die Möglichkeit einer Übermittlung der Kopien gegen Erstattung von 69,70 € (a. a. O.). Nachdem die Vorinstanzen dem Kläger Recht gaben, legte das Land Revision beim BVerwG ein (a. a. O.).
Entscheidung des BVerwG
Das BVerwG hat auch Revision des Landes zurückgewiesen (a. a. O.). Nach dem Urteil des BVerwG hat die betroffene Person gem. Art. 15 Abs. 1 DSGVO das Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten, wozu nach einschlägiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-434/16 [ECLI:EU:C:2017:994], Nowak -) die angefertigten schriftlichen Prüfungsleistungen und die zugehörigen Prüfergutachten gehörten (BVerwG, a. a. O.). Nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO könne der Prüfling von dem Verantwortlichen dabei die Überlassung einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung seien, verlangen (a. a. O.). Aus Art. 12 Abs. 5 S. 1 i. V. m. Art. 15 Abs. 3 S. 2 DSGVO ergebe sich, dass die erste derartige Kopie unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müsse (a. a. O.). Durch die o. g. Rechtsprechung des EuGH sei i. Ü. geklärt, dass die schriftlichen Prüfungsleistungen in einer berufsbezogenen Prüfung und die Anmerkungen der Prüfer dazu wegen der in ihnen jeweils enthaltenen Informationen über den Prüfling insgesamt - das heißt letztlich Wort für Wort - personenbezogene Daten des Prüflings darstellten (a. a. O.). Soweit daher der betroffene Prüfling das Recht auf Erhalt einer unentgeltlichen ersten Datenkopie geltend macht, müsse das Prüfungsamt eine vollständige Kopie der schriftlichen Prüfungsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten unentgeltlich zur Verfügung stellen (a. a. O.).
Dies gelte nach Auffassung des BVerwG nicht nur nach einem weiten Normverständnis, nach dem das Recht auf eine Datenkopie stets die Überlassung einer Reproduktion der Daten in der bei dem Verantwortlichen vorliegenden Form umfasse, sondern folge auch aus einem engeren Interpretationsansatz, nach dem grundsätzlich nur ein Anspruch auf die Zurverfügungstellung der aus dem jeweiligen Verarbeitungszusammenhang extrahierten personenbezogenen Daten oder auch nur einer strukturierten Zusammenfassung dieser Daten bestehe (a. a. O.). Ein solches Vorgehen sei bei Prüfungsarbeiten schließlich nicht möglich, sodass auch von einer erneuten Vorlage der Frage an den EuGH abzusehen war (a. a. O.).
Dem von dem Kläger geltend gemachten Anspruch standen nach Sichtweise der Richter am BVerwG auch keine Ausschlussgründe nach der DSGVO entgegen (a. a. O.). Insbesondere handele es sich nicht um einen „exzessiven Antrag“ i. S. d. Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO (a. a. O.). Der Umfang, den seine Bearbeitung beim Landesjustizprüfungsamt verursache, sei als vergleichbar gering zu beurteilen, da sich der Anspruch auf lediglich auf acht Klausuren mit insgesamt 348 Seiten beziehe (a. a. O.). Durchgreifende Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Anspruchsverfolgung lägen zudem ebenso nicht vor (a. a. O.). Der i. Ü. grds. fristgebundene Einsichtsanspruch nach dem nordrhein-westfälischen Juristenausbildungsgesetz lasse den datenschutzrechtlichen Anspruch unberührt, wobei das BVerwG an diese Auslegung des Landesrechts vom Berufungsgericht im Revisionsverfahren gebunden war (a. a. O.).
Rechtliche Bewertung
Die Entscheidung des BVerwG bringt Klarheit insbesondere in vielen vergleichbaren prüfungsrechtlichen Fallgestaltungen. Die Rechtssätze des BVerwG lassen sich zumindest auf alle berufsbezogenen schriftlichen Prüfungen übertragen, also alle schriftlichen Prüfungen, welche die beruflichen Fähigkeiten und die Berufseignung der Prüflinge beurteilen sollen und sind jedenfalls auch auf alle schriftlichen (Abschluss-)Prüfungen in den verschiedenen Vorbereitungsdiensten anzuwenden (vgl. hierzu u.a. Seidl, jurisPR-ITR 8/2023 Anm. 3).
Ebenso scheint unter den oben dargestellten Voraussetzungen grundsätzlich eine Erstreckung auf entsprechende dienstrechtliche Bewertungen/Unterlagen und Verwaltungsakten möglich bzw. angezeigt. Im Übrigen wird abzuwarten sein, inwieweit der EuGH sich auch in anderen Konstellationen zu Inhalt und Grenzen des in Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 DSGVO i.V.m. Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO verankerten Anspruchs in mehreren bereits laufenden Vorlageverfahren i. S. d. Art. 267 AEUV festlegt (vgl. Hahn, jurisPR-BVerwG 9/2023 Anm. 3).
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